Resilienz im Ganztag – Praxiseinblick in einen Dresdner Hort


© outlaw Kinder- und Jugendhilfe
Nach zwei Jahren Pandemie sind die meisten Kindertageseinrichtungen und Schulen wieder zum Regelbetrieb zurückgekehrt. Doch die Nachwirkungen der Beschränkungen sind sowohl bei den Kindern als auch bei den pädagogischen Fachkräften deutlich spürbar. Das Hortteam der 147. Grundschule in Dresden unter Leitung von Sandra Anders nimmt am Programm RiGa – Resilienz im Ganztag teil. Gemeinsam mit einer Prozessbegleitung möchten sie die Zeit reflektieren, nach vorne schauen und wieder zueinander finden.
Kreative Lösungen trotz Einschränkungen
Sandra Anders und ihr Team haben während des Lockdowns neue Wege gesucht und gefunden, um mit den Kindern in Kontakt zu bleiben. Die Studie „Kindsein in Zeiten von Corona“ (PDF-Dokument) des Deutschen Jugendinstituts hat gezeigt, dass viele neben ihren Freund:innen auch die Kontakte zu den Lehrkräften und den Pädagog:innen im Hort sehr vermissten. Persönliche Briefe und Emails, in denen Erzieher:innen von ihrem Alltag erzählten, aufmunternde Worte schrieben oder Beschäftigungstipps mitschickten, gaben Halt und waren für die jungen Menschen sehr wichtig. Das Team organisierte auch eine Fahrbibliothek mit Spielen und Büchern, um mehr Abwechslung zu ermöglichen. Im zweiten Lockdown erhielt jedes Kind per Post ein Puzzleteil in Form eines Menschen. Dieses konnten sie nach ihren Ideen gestalten und zurückschicken. Die vielen kreativ gestalteten Puzzleteile wurden zusammengefügt und im Schulflur aufgehängt. Als die Kinder nach der langen Zeit zu Hause wieder in die Schule beziehungsweise den Hort kamen, empfing sie dieses wunderbare Gemeinschaftswerk und zeigte ihnen, dass sie trotz des Getrenntseins verbunden waren.
Das Miteinander hat sich in den letzten zwei Jahren verändert
In diesen Zeiten hat das Team sehr engagiert gearbeitet. Das hat an den Kräften gezehrt. Gemeinsam möchte es nun nach vorne schauen und reflektieren: Was haben zweieinhalb Jahre Pandemie alles verändert? Welche positiven Erfahrungen aus dieser Zeit können wir für die Zukunft übertragen? Was brauchen die Kinder aber auch die pädagogischen Fachkräfte, um gesund zu bleiben und sich weiter entwickeln zu können?
Als im Herbst das Programm RiGa - Resilienz im Ganztag startete, war der Hort eine der ersten Institutionen, die sich für eine Teilnahme angemeldet hatten. Was sich das Team davon versprach, fasst Sandra Anders so zusammen: „Unsere Einrichtung hat bis März 2020 offen gearbeitet. Danach kam für lange Zeit der eingeschränkte Regelbetrieb, was hieß, dass wir gruppenbezogen arbeiten mussten. Hinzu kam, dass zwei neue Gruppen aufmachten und unser Team um die entsprechende Zahl an Fachkräften anwuchs. Das hat viel verändert im Miteinander. Für das Team ist es eine große Herausforderung, sich als Ganzes zu verstehen und zu erleben. Das kommt auch durch die hohe Belastung aufgrund vieler Krankheitsfälle und, weil die Zusammenarbeit auf ein Minimum begrenzt war.“ Zusätzlich belasteten das Team die unterschiedlichen Einstellungen zum Thema Schutzimpfung.
Blick konzentriert auf die Kinder lenken
Die Kommunikation im Alltag war sehr eingeschränkt und sorgte für Missverständnisse. Einige Kolleg:innen haben sich auf die Arbeit in ihrer Gruppe „zurückgezogen“ und darin Entlastung gefunden. Auch wenn die offene Arbeit nicht grundsätzlich in Frage steht, haben einige bei einer Rückkehr zu dieser Änderungswünsche und entsprechende Erwartungen. Die Unterstützung einer Prozessbegleitung soll nun helfen, gemeinsam nach vorn zu schauen.
„Wir wünschen uns von der Prozessbegleitung, dass sie uns hilft, den Blick konzentriert auf die Kinder zu lenken und den Spagat zwischen den eigenen Wünschen und Erwartungen auf der einen Seite und den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder auf der anderen, gut zu meistern“
Sandra Anders
Ziel und Motivation am Programm Resilienz im Ganztag mitzuwirken, ist es, dass sich das Angebot des Hortes dahingehend weiterentwickelt, Kinder nicht nur dabei zu unterstützen, die Pandemie gut aufzuarbeiten, sondern sie durch gezielte Angebote mental und sozial zu stärken. Ebenso möchten die Pädagog:innen auf mögliche weitere Einschränkungen konzeptionell besser vorbereitet sein und die Kinder entsprechend beteiligen, anstatt sie mit Tatsachen zu konfrontieren. So können sie mit künftigen Krisensituationen besser umgehen.
Dem Thema Resilienz mit der nötigen Tiefe begegnen
Inwieweit ist das Angebotsspektrum des Hortes bereits resilienzfördernd? Und wo besteht Bedarf für fachliche Entwicklung? Dies reflektierte das Team zu Beginn der Prozessbegleitung anhand eines Analyse-Tools. Es nahm dabei verschiedene „Resilienzfaktoren“ wie Selbstwirksamkeit, Stressbewältigung oder Sozialkompetenz genauer unter die Lupe, diskutierte Reflexionsfragen und konkretisierte mit Beispielen aus der täglichen Arbeit. Dieser umfangreiche Prozess half, dem Thema mit der nötigen Tiefe zu begegnen. Dabei zeigte sich, dass der Hort bereits viele wirksame Ansätze verfolgt:
- Das Team führt viele intensive und persönliche Gespräche mit den Kindern, um ihre Erfahrungen und Ängste während der Pandemie, aber auch ihre Wünsche für die Zukunft zu erfragen. Bei Furcht oder Versagensängsten nimmt es die Kinder ernst und ermutigt sie.
- Die Kinder dürfen in vielen Angelegenheiten mitbestimmen und altersgemäß Verantwortung für einzelne Bereiche übernehmen.
- Es gibt drinnen und draußen vielseitige Materialien und Möglichkeiten, um kreativ zu werden und sich in Problemlösungen auszuprobieren.
Sinnhaftigkeit der Arbeit und positive Energie
In vielen Bereichen wirksam zu sein und mit den Kindern Resilienz fördernd zu arbeiten, lässt die pädagogischen Fachkräfte die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit spüren. Das gibt positive Energie und stärkt das Gemeinschaftsgefühl im Team. Die Analyse hat aber auch Entwicklungspotenziale aufgezeigt:
Das Team möchte mehr Zeit in Portfolioarbeit investieren, um die Entwicklungsfortschritte der Kinder besser zu dokumentieren.
- Die Fachkräfte möchten sich noch mehr Zeit für positive Rückmeldungen nehmen und gemeinsam mit den Kindern reflektieren, was gut läuft. Damit soll die Selbstwirksamkeit und das Selbstbewusstsein noch mehr gestärkt werden.
- Die Zeit der Pandemie mit ihren vielen Unsicherheiten und stetigen Änderungen hat gezeigt, dass die Kinder vor allem Sicherheit durch klare Strukturen, Regeln und logische Konsequenzen gewinnen. Dabei steht Prävention vor Intervention. Innerhalb dieses Rahmens gilt es, klare Optionen für Beteiligung und Entscheidungsfreiheit festzulegen und zu nutzen.
- Zudem sollen mehr Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder geschaffen werden, damit diese besser zur Ruhe kommen können.
- Die Fachkräfte möchten sich stärker darüber austauschen, welche Werte ihnen in ihrer Arbeit wichtig sind und auf welche gemeinsame Basis sie sich beziehen wollen.
Aufmerksamkeit, Aktivität, Gemeinschaft
Ergänzend zur Prozessbegleitung hat das Hort-Team über den Zukunftsfonds von AUF!leben Förderung für konkrete Projektideen beantragt. „Wir möchten den Kindern nach dieser langen Zeit zu Hause mit dem eingeschränkten Aktionsradius viele Möglichkeiten bieten, sich auszuprobieren und aktiv zu werden. Deshalb haben wir Gelder für Baumklettern, Floorball und Tanzangebote beantragt“, erzählt Sandra Anders.
Außerdem erhalten die Kinder ein Budget, über das sie selbst verfügen können. So lernen sie, sich über ihre Wünsche auszutauschen, abzuwägen, zu verhandeln und zu entscheiden – und gleichzeitig zurückzustecken und Kompromisse einzugehen. Auf Projekttagen unterstützen die Fachkräfte die Kinder dabei, sich als Gruppe zu fühlen und die Gemeinschaft zu spüren. Sandra Anders fasst zusammen:
„Das Team ist immer noch sehr belastet. Wir haben viel krankheitsbedingten Ausfall beim Personal. Da sind zusätzliche Angebote schwer zu stemmen. Der Zukunftsfonds ist deshalb für uns eine tolle Möglichkeit, zusätzliche Ressourcen zu erhalten. Damit schaffen wir es, den Kindern mehr davon zu bieten, was sie dringend brauchen – Aufmerksamkeit, Aktivität, Gemeinschaft.“
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