Jugendprojekte mischen mit


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Jugendliche können Demokratie nicht nur in der Theorie lernen, sondern müssen sie unmittelbar erfahren – am besten, indem sie selbst gestalten, Verantwortung übernehmen und etwas Eigenes auf die Beine stellen. Wie gut das funktionieren kann, zeigen die AUF!leben-Jugendprojekte.
Partizipation und Teilhabe sind Grundrechte von Kindern und Jugendlichen, die u.a. in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind. Wie wenig selbstverständlich und strukturell verankert diese Grundrechte in Deutschland bisher sind, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Gesprochen und berichtet wurde viel über „Jugendliche als Verlier:innen der Pandemie“. Direkt gefragt, wie es ihnen gerade geht und was sie brauchen, um die Corona-Pandemie besser zu überstehen, wurden sie kaum. 2020 gaben in der JuCo-Studie 65 Prozent der befragen Jugendlichen an, dass sie eher nicht oder gar nicht den Eindruck haben, dass ihre Sorgen in der Politik gehört werden (Andresen et al. 2020, S. 10). Ein Jahr später stimmten knapp 70 Prozent der Aussage „Die Situation von jungen Leuten ist den Politiker:innen wichtig“ gar nicht oder eher nicht zu. (ebd., S.13).
UN-Kinderrechtskonvention – Artikel 12
(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.
Von Jugendlichen für Jugendliche
Während der Corona-Pandemie hat es sehr lange gedauert, bis die Politik wieder an die Jugendlichen dachte. Und noch länger, bis gemerkt wurde: Wir müssen die Jugendlichen nicht nur berücksichtigen, sondern sie auch anhören. Genau hier setzen die Jugendprojekte des AUF!leben-Programms an. Sie werden nicht von Erwachsenen für Jugendliche konzipiert und umgesetzt, sondern von Jugendlichen selbst auf die Beine gestellt. Unterstützung von erwachsenen Begleiter:innen und Berater:innen erhalten sie nur, wenn sie diese einfordern. „Wir versuchen, Jugendlichen direkte Beteiligung zu ermöglichen. Die Jugendlichen sollen selbst aktiv werden, sich direkt beteiligen, einmischen und eigenständig Projekte umsetzen können“, erklärt Edda Laux, Programmleiterin des Themenschwerpunkts Demokratie und Teilhabe in AUF!leben – Zukunft ist jetzt.
Diese direkte Beteiligung der Jugendlichen ist umso wichtiger, da sie mit dem ersten Lockdown gar nicht mehr möglich gewesen war. Neben den Schulen wurden so gut wie alle außerschulischen Lernorte der Jugendlichen geschlossen: Es fand kein Training in Sportvereinen mehr statt, Jugendclubs schlossen und Jugendverbände mussten ihre Arbeit niederlegen. „Besonders schlimm war für die Jugendlichen, dass sie überhaupt nicht einbezogen und informiert wurden. Gemeinden haben zum Beispiel Jugendclubs, die die Jugendlichen selbst verwalteten, einfach von einem Tag auf den nächsten zugemacht. Mit den Jugendlichen wurde vorher nicht gesprochen, sie durften nicht mehr in ihre Räume und wussten auch nicht, wie lange das gilt“, erklärt Edda Laux.
Beratungstelefon für die Fragen der Jugendlichen
Auf die Ausschreibung im November 2021 konnten sich Jugendliche zwischen 14 und 26 Jahren mit ihren Projekt-Ideen bewerben und finanzielle Unterstützung für die Umsetzung ihrer Ideen aus dem Zukunftsfonds erhalten. Formale Voraussetzung für die Förderung: Sie brauchten einen Träger, der das Projekt mit ihnen umsetzt. Doch kaum ein Jugendlicher war ein Profi und es gab viele offene Fragen: Wie finde ich einen Träger für mein Projekt? Wie viel Geld benötigen wir für das, was wir vorhaben? Wie genau stelle ich eigentlich so einen Antrag? Um Jugendlichen bei Fragen wie diesen zur Seite zu stehen, hat das AUF!leben-Team ein Beratungstelefon ins Leben gerufen. Von Montag bis Freitag konnten Jugendliche dort zwischen 15 und 18 Uhr anrufen und ihre Fragen loswerden. Am anderen Ende saß zunächst ein:e AUF!leben-Mitarbeiter:in. Ein paar Wochen später gründete sich in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Demokratie und Courage ein junges, etwa 20-köpfiges Berater:innen-Team. Die jungen Erwachsenen erhielten eine Schulung und arbeiteten auf Honorarbasis. „Die Berater:innen hatten ein ganz anderes Ohr für die Ideen und Anliegen der Jugendlichen. Da saßen keine älteren Menschen und erklärten Jugendlichen, wie die Welt funktioniert, sondern die Beratung fand peer-to-peer statt“, erklärt Edda Laux, „da ist einfach eine größere Nähe da – vom Alter und Erfahrungshintergrund her. Das erst macht einen Austausch auf Augenhöhe möglich.“
Verstehen, was Jugendliche wollen und brauchen
Es fanden mehr als 300 Beratungen statt. Was auffällig war: Die Projektideen waren sehr divers, keine Idee glich der anderen und das Themenspektrum reichte von Sportaktivitäten über Diversitätsprojekte und queere Themen bis hin zu Nachhaltigkeits- oder Musikprojekten wie der Aufnahme eines Albums. Auch für Rhetoriktrainings oder Diskussionsrunden wurden Förderungen beantragt. Wichtig bei der Beratung war, dass die Berater:innen gut erreichbar waren, dass sie sich genug Zeit nahmen und genau zuhörten, damit sie die Anliegen auch wirklich verstanden. Nur so konnten sie auch die richtige Beratungsleistung erbringen. Sie brauchten Geduld, eine klare Haltung und das Vermögen, komplexe Sachverhalte und Behördendeutsch so zu erklären, dass Jugendliche es richtig verstehen.
Nachdem mehr als 100 Jugendprojekten eine Förderung bewilligt wurde, stellte AUF!leben den größeren Jugendprojekten eine pädagogische Begleitung zur Verfügung – wenn das gewünscht war. 17 Begleiter:innen standen den Jugendlichen telefonisch und vor Ort beiseite. Sie führten mit den Jugendlichen Teambuilding-Tage durch und unterstützen bei der Öffentlichkeitsarbeit. Eine Begleitung war zum Beispiel nötig, wenn die Projekte längerfristig angelegt und organisatorisch aufwendiger waren oder wenn viele Menschen bzw. verschiedene Interessensgruppen beteiligt waren. Begleitung erhielt etwa das YoungVision-Sommercamp. Hier kamen junge Menschen zusammen, um gemeinsam den Folgen der coronabedingten Isolation zu begegnen. Oder ein größeres Projekt in Sachsen-Anhalt, bei dem Jugendliche ihren Ort gemeinsam mit der Gemeinde kinder- und jugendfreundlicher gestaltet haben. „Wenn die Jugendlichen mit anderen Institutionen – zum Beispiel mit der Gemeinde – zusammenarbeiten und unterschiedliche Interessen moderiert werden müssen, können Jugendliche ohne Unterstützung an ihre Grenzen kommen“, erklärt Edda Laux.
Balance zwischen Unterstützung und Eigenständigkeit
Wichtig war, bei der Begleitung ein Gespür dafür zu entwickeln, wann die Jugendlichen Unterstützung brauchen, nicht zu früh einzugreifen und sie machen zu lassen, damit sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln und Entscheidungen eigenständig treffen konnten. „Das war echte Beziehungsarbeit“, resümiert Edda Laux. Die Begleiter:innen waren pädagogische Fachkräfte, die Erfahrungen im Projektmanagement, in der Arbeit mit Jugendlichen, in der Moderation mitbrachten und im Idealfall sogar einen demokratiepädagogischen Hintergrund hatten.
Mit den Projekten zeigen die Jugendlichen deutlich, dass sie eine eigene Meinung haben, dass sie genauso divers aufgestellt sind wie jede Generation von Erwachsenen und dass sie nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse, sondern auch eigene Lösungsansätze haben. Selbstwirksamkeit ist dabei ein zentrales Anliegen von AUF!leben: „Es fängt damit an, dass die Jugendlichen sich in der Gruppe einigen müssen, wie sie das Projekt konkret umsetzen wollen. Oder sie merken: Oh Mist! Wenn ich hier eine Skate-Anlage will, muss ich ja jetzt mit den Nachbarn reden, damit wir einen Kompromiss finden – um am Ende die Erfahrung zu machen: Wir handeln das aus und das führt dazu, dass ich mein Projekt umsetzen und hier skaten kann“, erzählt Edda Laux weiter.
Nur wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie ein Teil der Gesellschaft sind, wollen sie das auch sein und bringen sich ein. Davon lebt eine Demokratie. „Wer sich schon jung einmischt, engagiert sich auch später“, erklärt Edda Laux, „wenn Jugendliche erleben, dass sie eine Stimme haben, ihre Interessen tatsächlich gehört werden und sie am Ende sogar Erfolg haben, ist das eine großartige Motivation, um ein positives Demokratieverständnis zu entwickeln.“
Literatur
Andresen, Sabine; Heyer, Lea; Lips, Anna; Rusack, Tanja; Schröer, Wolfgang; Thomas, Severine & Wilmes, Johanna (2020): „Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen“ – Jugendalltag 2020. Verfügbar unter: www.hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1166 (abgerufen am 03.11.2022).
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