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Akinda – Mentorenschaften für junge volljährige Geflüchtete

Das Bild zeigt zwei Menschen, die nebeneinander auf einer Straße mit Kopfsteinpflaster laufen. Zu sehen sind die Füße. Beide tragen Turnschuhe und Jeans. Sie laufen in die gleiche Richtung.

© Pixabay/TanteTati

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Fernunterricht, unsichere Perspektiven und Sorge um die Familie im Herkunftsland: Die Pandemie hat gerade junge Menschen mit Fluchtgeschichte hart getroffen. Ein Projekt in Berlin belebt alte Vormundschaften neu, um ihnen eine besonders vertraute 1:1-Begleitung an die Seite zu stellen.

 

Projektstart

  • 16.01.2022
  • Berlin
  • XENION - Psychosoziale Hilfen für Politisch Verfolgte e. V.
  • 30 Teilnehmende
  • 18 bis 26 Jahre
Kategorie: Mentoring

Leopoldplatz in Berlin-Wedding, ein Donnerstag, 15.07 Uhr: Farid wartet auf Liane. Er hat die Hände in den Taschen vergraben und friert. Liane stürmt die Treppen der U-Bahn-Station hinauf. „Entschuldige, ich bin zu spät“, ruft sie und reißt sich schnell noch die Maske von den Ohren. „Wie immer“, sagt Farid und grinst. Liane lacht zurück: „Komm, lass uns einen Tee trinken gehen.“

 

Projektziel: Eine Ressource heben, die sowieso da ist

An diesem Nachmittag, bei Tee und Keksen, wird aus Liane, Farids ehemaligem Vormund, seine Mentorin werden. Organisiert hat das Akinda, ein Projekt des XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e. V. In der Hauptsache vermittelt Akinda Einzelvormundschaften für unbegleitete Minderjährige. „Im Moment versuchen wir aber verstärkt, frühere Vormundschaften zu reaktivieren. Die Corona-Krise hat junge Menschen mit Fluchthintergrund hart getroffen und wir wünschen uns auch für sie noch einmal eine engere Begleitung”, sagt Ronald Reimann, Projektleiter bei Akinda.

 

800 ehrenamtliche Einzelvormundschaften, etwa, hat Akinda seit 1997 in Berlin vermittelt.

Ehrenamtliche Vormundschaften sind fast immer 1:1-Kontakte

Zu den besonderen Risiken gehört, dass der Kontakt zu Gleichaltrigen erschwert ist – und damit für neu Hinzugezogene das Ankommen in Berlin. Nach den langen Schulschließungen finden viele zudem nur schwer in den Unterricht zurück. Jungen Menschen mit Fluchthintergrund fehlt oft der Zugang zu Informationen über Corona-Maßnahmen oder Impfmöglichkeiten in einfacher oder jugendgerechter Sprache. Enge Bezugspersonen fehlen. „Eine ehrenamtliche Einzelvormundschaft begründet oft ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis, das wir über die Mentorenschaften wiederbeleben wollen. In dieser Krise können ehemalige Vormünder eine einmalige Unterstützung sein“, sagt Ronald Reimann. AUF!Leben unterstützt diese Mentorenschaften. Mindestens 30 sollen es werden.

 

Anfangs stürmt Farid los …

Das Bild zeigt einen jungen Mann von hinten, der auf eine Wandtafel schaut. An dieser Wandtafel hängen viele Zettel, auf denen Informationen, Lernstoff und Daten stehen.

© Pixabay/StartupStockPhotos

Über Akinda lernen sich 2016 auch Farid aus Afghanistan und Liane aus Berlin kennen. Er ist 16 Jahre alt und lebt seit einem halben Jahr in einer Notunterkunft für Minderjährige, als die Politikwissenschaftlerin ehrenamtlich das Sorgerecht für ihn übernimmt. Sie erlebt, wie Farid losstürmt. In Afghanistan ist er neun Jahre lang zur Schule gegangen. Er hat Pläne, will das Abitur machen und studieren, irgendwas mit IT vielleicht. Nach der Willkommensklasse wechselt er in die Berufsvorbereitung, Fachbereich Elektrotechnik. Der Lehrer ist zufrieden. Die Klasse wählt Farid zu ihrem Sprecher. Das Praktikumsunternehmen lobt Auffassungsgabe und Zuverlässigkeit – und bietet ihm einen Mini-Job neben der Schule an. Die erweiterte Berufsbildungsreife schafft Farid mit einem Notenschnitt von 2,5. Das reicht, um den nächsthöheren Abschluss anzugehen.

 

"Eine ehrenamtliche Einzelvormundschaft begründet oft ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis, das wir über die Mentorenschaften wiederbeleben wollen."
Ronald Reimann, Projektleiter von Akinda

 

… dann tauchen Hürden auf

Dann aber wird es zäh. Farids Asylantrag ist abgelehnt. Er stellt nun immer wieder sein gesamtes Leben in Frage. Lohnt es sich, so viel Energie in Sprache, Kultur und Bildung zu investieren, wenn er doch nicht weiß, ob er bleiben darf? Wut und Unsicherheit richtet Farid gegen sich selbst. Er lernt nicht mehr für den Mittelschulabschluss. Von Abitur ist keine Rede mehr. „Das ist mein Scheiß-Schicksal“, lässt Farid Liane und seinen Bezugsbetreuer in der Jugend-WG wissen.

 

Corona kommt noch dazu

Obendrauf kommt im März 2020 der Ausbruch von Corona. Der Unterricht findet nun weitgehend über E-Mails statt, an denen umfangreiche Arbeitsblätter hängen. Farid, Deutschniveau B2, ist überfordert. Dass praktisch der gesamte Unterricht schriftsprachlich stattfindet, macht für ihn etwas zur Voraussetzung, was eigentlich das Ziel seiner Bildung sein müsste. Zudem sorgt sich Farid um seine Familie in Afghanistan. Auch dort ist das Virus angekommen. Farid will unterstützen, weiß aber nicht wie. Immer öfter klagt er über Kopfschmerzen. Morgens kommt er nur schwer aus dem Bett. Die Prüfung schafft er nicht. Im Herbst 2020 unterzeichnet er den Vertrag für eine Einstiegsqualifizierung in einem Elektro-Betrieb. Als sie anfangen soll, springt das Unternehmen ab. Zu unsicher ist die Lage.

 

„Ich hatte ganz lange den Gedanken, dass ich mich wieder öfter mit Farid treffen müsste, weil er nicht alleine bleiben sollte mit seiner Situation.“
Liane, 39, ehemaliger Vormund und nun Mentorin von Farid

 

Wenn schon Vertrauen da ist – warum es nicht ganz neu nutzen?

Das Bild zeigt die Füße eines Jungne, der auf einem Rohr balanciert. Er trägt weiße Sneaker und beigefarbene Jeans.

© Pixabay/wal_172619

Seit dem Ausbruch der Pandemie hört Ronald Reimann viele solcher Geschichten. „Es gibt einige Unterstützungsangebote in Berlin. Aber viele junge Menschen mit Fluchtgeschichte gehen nicht gern alleine in Beratungsstellen, wenn sie diese nicht kennen und noch kein Vertrauen aufbauen konnten“, sagt Ronald Reimann. Ihre ehemaligen Vormünder sollen hier noch einmal Brücken schlagen.

 

Die Mail von Akinda gibt den Ausschlag

Auch Liane spürt, dass Farid Schwierigkeiten hat. Mittlerweile 21 Jahre alt, hat er die Jugendhilfe verlassen und wohnt nun in einer eigenen Wohnung, ganz am Rande von Berlin. Die beiden treffen sich selten. Manchmal schreiben sie sich. „Farid, wie geht es Dir?“, fragt Liane. Er schickt ihr Bilder von Behördenpost und Infomaterial zu Corona. „Kannst Du mir sagen, was das heißen soll?“ Liane sagt: „Ich hatte ganz lange den Gedanken, dass ich mich wieder öfter mit Farid treffen müsste, weil er nicht alleine bleiben sollte mit seiner Situation.“ Die Mail von Akinda zum Mentorenprogramm gibt den Ausschlag.

 

“Mein Leben war vorher schon so anstrengend. Warum musste dann auch noch Corona sein?”
Farid, 21, Mentee von Liane

 

 

Beide bekommen Unterstützung – er von ihr, sie von Akinda

Das Bild zeigt eine Mitarbeiterin von Akinda bei einer Schulung für angehende Vormünder. Auf einem Flipchart erklärt sie die Aufgaben eines Vormunds, zum Beispiel Begleitung bei Schule und Ausbildung, Hilfeplangespräche mit den Jugendämtern, Gesundheitsfürsorge, das Asyl- und Aufenthaltsverfahren oder das Unterschreiben von Verträgen.

© Akinda/Xenion - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e. V.

Ein halbes Jahr lang werden die beiden nun mindestens zwei Stunden wöchentlich Kontakt haben. Dafür kann Liane alle Weiterbildungen von Akinda besuchen. Es gibt Telefonsprechstunden und Infomails zu Corona oder zu den Angeboten von Netzwerkpartnern im Bereich Ausbildung und Rechtsberatung. „Uns ist es wichtig, unsere Mentorinnen und Mentoren eng zu begleiten“, sagt Ronald Reimann. „Niemand kann von Ehrenamtlichen erwarten, dass sie allein die Folgen einer Pandemie im Leben junger Geflüchteter lösen. Aber sie können viel dazu beitragen, wenn sie dabei die richtige Unterstützung haben.“

 

Themen sind das Asylverfahren und seine berufliche Zukunft

Das VBild zeigt bunte Moderationskarten, auf denen typische Themen stehen, die Vormünder und Mentoren beachten müssen, zum Beispiel Traumata und Krisen oder die Besonderheit von Willkommensklassen.

© Akinda/Xenion - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e. V.

Bei Tee und Keksen sagt Liane, dass sie sich vor allem über Tipps zu beruflichen Projekten freut. Farid hat sich einen Job gesucht, weil er seine Familie in Afghanistan unterstützen muss. Bei einem Versanddienstleister verdient er wenig mehr als den Mindestlohn. Farid weiß, dass er mit einer Ausbildung bessere Chancen hätte. Aber während der Ausbildung würde er noch weniger Geld verdienen. Farid sagt: „Ich weiß nicht, wie ich das lösen soll.“ Hinzu kommt: Seit fast fünf Jahren schwebt sein Asylverfahren vor Gericht. Farid sagt, dass er müde ist. “Mein Leben war vorher schon so anstrengend. Warum musste dann auch noch Corona sein?”

 

104 Tassen Tee werden Farid und Liane wohl bis Ende August zusammen trinken

Das Mentoring verschafft ihm Raum für seine Pläne und Ziele

Ins Asylverfahren steigt Liane nun wieder ein. Die Akte stand sowieso noch in ihrem Schrank. „Ich nehme ihm an dieser Stelle etwas ab, damit er Raum gewinnt, sich über seine Zukunft Gedanken zu machen.” Sie ist gespannt, was sich ergibt. „Ich bin ganz ehrlich, ich habe auch keine Lösung parat.” Doch seine Träume will sie im Blick behalten und mit ihm gemeinsam Wege suchen. „Farid soll wissen, dass ich da bin, wenn er sie irgendwann wieder angehen will.“

 

Projektende

  • 31.08.2022
  • Berlin

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