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Generation Corona? Ergebnisse aus der Motorik-Modul (MoMo)-Langzeitstudie

Ein Impuls von Prof. Dr. Alexander Woll, Institut für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Die Motorik-Modul-Studie untersucht seit 2003, wie viel sich Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen. Was auch das Forscherteam überraschte: Im ersten Lockdown gingen die Werte nach oben. Dann aber setzten sich Bildschirm und Süßigkeiten durch. Was jetzt dringend getan werden muss.

Das Bild zeigt ein Mentimeter. Das ist eine Software für digitale Konferenzen, bei denen die Menschen zu einem bestimmten Thema wichtige Schlagworte eingeben können. Hier lautete die Frage: Welche Herausforderungen begegnen mir im Bereich Sport und Bewegung? Antworten waren zum Beispiel Angst vor Ansteckung, zu wenig Trainingspersonal, verlorene Bindung an Kinder und Jugendliche, fehlende Planbarkeit der Angebote, hoher Mehraufwand durch Hygienemaßnahmen, fehlende Trainer:innen.

© DKJS/Mentimeter

Eingangs der Veranstaltung haben wir über die Software Mentimeter gefragt: Welche Herausforderungen nehmen Sie wahr? Die Wortwolke gibt einen Überblick über die Antworten.

Wie so häufig gilt auch im Bereich Sport und Bewegung: Corona hat keine neuen Probleme geschaffen, sondern vor allem bestehende verschärft. Schon vor Ausbruch der Pandemie habe der tägliche Anteil an Bewegung bei Kindern und Jugendlichen unter den Empfehlungen der WHO gelegen, führte Prof. Dr. Alexander Woll in die Ergebnisse der MoMo-Studie ein. Mindestens eine Stunde aktive Bewegung am Tag, das erreichten zwischen 2018 und 2020 lediglich 21,9 Prozent der Jungen und 16,9 Prozent der Mädchen. "Gestiegen ist die Bewegungszeit seit 2003 nur in organisierten Angeboten, etwa über Schulen oder Vereine. Selbst organisierter Sport oder Spielen im Freien fand für viele Kinder und Jugendliche auch vor der Pandemie schon immer weniger statt", so Professor Woll.

Im ersten Lockdown kam die Straßenkindheit zurück

Daher war auch das Forscherteam überrascht, als es die Daten für den ersten Lockdown auswertete. Im April 2020 kamen 35,5 Prozent der Jungen und 27,3 Prozent der Mädchen mindestens auf die empfohlene Stunde aktive Bewegung am Tag. Der organisierte Sport war ausgesetzt, das Wetter meistens schön, das Homeschooling funktionierte noch nicht richtig und viele Familien erkundeten mit mehr Zeit als sonst den Bewegungsraum in ihrer nahen Umgebung. Professor Woll: "Was wir beobachtet haben, war ein Stück weit die Rückkehr zur Straßenkindheit."

Das aber sollte nicht so bleiben. In der Erhebungswelle vom Februar 2021 kamen nur noch 17,6 Prozent der Jungen und 14,7 Prozent der Mädchen auf wenigstens eine Stunde Bewegung täglich. Dafür war der Medienkonsum noch einmal angestiegen. Durchschnittlich 80 Minuten mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen Kinder und Jugendliche im Vergleich zu vor-pandemischen Zeiten, insgesamt 227 Minuten, Homeschooling nicht mitgerechnet.

Corona-Hotspots sind auch die Hotspots des Bewegungsmangels

Eine nähere Betrachtung der Daten ergab einen engen Zusammenhang zwischen Bewegungszeit und sozialer Herkunft. Am wenigsten Sport machten Kinder und Jugendliche in Großstädten und dort vor allem in dicht besiedelten Quartieren. "Man kann sagen, dass die Hotspots für Coronainfektionen auch die Hotspots für Bewegungsarmut sind", sagte Professor Woll. Das nun überraschte das Forscherteam nicht, auch nicht, dass bereits übergewichtige Kinder ein mehr als doppelt so hohes Risiko hatten, weiter zuzunehmen. "Corona hat überwiegend die bestehenden Risikolagen verstärkt."

Wie finden wir raus aus der Bewegungsarmut einer ganzen Generation?

Mit Blick auf die Ergebnisse gehört auch Prof. Woll zu den Befürwortern eines nationalen Bewegungspaktes, der auf wissenschaftlicher Grundlage das gesamte Umfeld von Kindern und Jugendlichen einbezieht; Elternhaus, Vereine, aber auch Schulen und Kinderbetreuung und die kommunale Verwaltung. Fünf Schwerpunkte eines solchen Paktes machte er aus:

  • eine Qualitätsoffensive für Sportlehrkräfte
  • die Entwicklung digitaler Bewegungsangebote
  • die Schaffung wohnortnaher öffentlicher Bewegungsräume
  • niedrigschwellige Angebote für sozial benachteiligte Kinder
  • gezielte Bewegungsförderung vulnerabler Zielgruppen

Ich glaube, dass wir eine Chance haben, eine neue, resiliente Generation zu schaffen, wenn wir jetzt die Herausforderungen richtig angehen.

Prof. Dr. Alexander Woll, Forschungsleiter MoMo-Studie

Aus der Diskussion: Lässt sich das Verpasste wieder aufholen?

In der anschließenden Fragerunde zeigte sich, wie sehr die Teilnehmenden ihrerseits mit den Folgen der Bewegungsarmut beschäftigt sind. Fragen drehten sich vor allem um die Abwägung von körperlichen gegen psychische Folgen der Pandemie. Es werde kaum möglich sein, für alle betroffenen Kinder und Jugendlichen ein psychotherapeutisches Angebot zu schaffen, sagte Prof. Woll. Umso mehr spreche für einen Bewegungspakt: "Bewegung verbessert das Selbstkonzept, verstärkt Selbstwirksamkeit, ist ein Stresspuffer und hat eine antidepressive Wirkung. Gerade Bewegung hilft dabei, die Folgen der Pandemie zu bewältigen."

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