Fishbowl-Diskussion: Bremer Kinder in Bewegung bringen

© Frank Scheffka / Raum Fotografie
Rund zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie lassen sich die Folgen immer besser erfassen. Die gute Nachricht: Bei vielen Kindern sind keine langfristigen motorischen Schäden zu erwarten. Die schlechte Nachricht: Kinder in Risikolagen fielen weiter zurück. Wie geht Bremen mit diesem Befund um?
Es diskutierten:
- Elke Wolf, Senat für Kinder und Bildung Bremen
- Meentje Otto, Bremen 1860 e.V.
- Sarah Ackermann, Sportjugend Bremerhaven
- Daniel Magel, „Hood Training“
Moderation: Katja Geerdes, Standortleiterin DKJS Bremen
Ob Jugend und Corona (JuCo) oder Motorik-Modul-Studie (MOMO): Immer deutlicher zeigt sich, dass die Pandemie Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht gleichmäßig getroffen hat. Langfristige Folgen sind vor allem bei Kindern zu erwarten, die auch vorher schon in Risikolagen lebten – und deren tägliche Bewegungszeit schon lange immer weiter sinkt. Die Akteur:innen der Sport- und Bewegungsarbeit in Bremen suchen daher umfassende Antworten: Wie lässt sich Teilhabe an Sport und Bewegung zum Kinderrecht machen, zu dem möglichst alle breiten Zugang haben?
Wo steht Bremen im Frühjahr 2022?

Das Senatsressort für Kinder und Bildung in Bremen kann sehr genau sagen, wie es den Kindern und Jugendlichen in der Hansestadt geht. An allen Schulen hat sie eine Diagnostik durchgeführt. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Kinder hat auch im Jahr 2022 gute motorische Fähigkeiten. Etwa 30 Prozent liegen zwar zurück, doch in einem Rahmen, der im Schulalltag aufgeholt werden kann. Etwa jedes zehnte Kind aber braucht eine intensivere Förderung, die unterschiedliche Partner der Kinder- und Jugendhilfe einbeziehen muss. „Wir müssen genau hinschauen, wie Bewegung für alle Kinder Teil des Alltags wird“, sagte Elke Wolf.
Ähnliches berichtete Meentje Otto: Im Kindergartenalter lasse sich häufiger beobachten, dass Kinder etwa nicht gelernt haben, rückwärtszulaufen. „Das holen sie jetzt aber nach.“ Ins Loch gefallen hingegen sind junge Menschen beim Übergang zur Pubertät – und solche, die vor der Pandemie Leistungssport betrieben haben. „Sie merken jetzt, dass sich ihr Körper verändert hat und dass sie an alte Leistungen nicht mehr anknüpfen können. Viele dieser jungen Menschen haben die Vereine dauerhaft verloren.“
Freie Angebote hingegen sind nachgefragt wie nie. Eltern-Kind-Kurse sind bei der Sportjugend Bremen ausgebucht. Das Programm Hood Training fing vor zehn Jahren mit einer Gruppe an – und ist nun in zehn Stadtteilen präsent, sagte Daniel Magel. „Wir versuchen, möglichst viele Jugendliche in ihrem Umfeld zu erreichen.“ Sein Blick auf die Pandemiefolgen: „Wir beobachten deutlich mehr Gewalt und Aggression. Auch die Drogenproblematik hat zugenommen.“
Wie sieht das Angebot in Bremen aus?
Eines habe der Senat nach zwei Jahren Pandemiemanagement gelernt, sagte Elke Wolf: „Nie wieder darf passieren, dass für Kinder gar kein Sport stattfindet.“ Das Sportangebot für Kinder und Jugendliche hingegen hat sich wieder erholt – und sieht jetzt völlig anders aus als vor der Pandemie: Zu den festen Trainings in den Vereinen sind vielfach niedrigschwellige Angebote gekommen, für die sich niemand anmelden muss. Beim Bremen 1860 e. V. etwa können sich die Kinder in aller Ruhe durch alle Sportangebote testen. „Sie bekommen dafür auch eine Stempelkarte und können dann stolz sagen, heute habe ich etwas im Bereich Judo gelernt“, sagte Meentje Otto.
Elke Wolf erwartet, dass sich der Sport auch langfristig rund um die Schulen organisiert. Man sei im Gespräch, um Fragen nach Aufsichtspflicht oder Versicherung zu klären, damit Schulhöfe auch außerhalb der Unterrichtszeit für Sport und Bewegung genutzt werden könnten. Sportlicher Ausgleich müsse zudem auch ein Thema für die Jugendhilfe sein. „Manchmal ziert sie sich noch. Doch sie wäre ein wichtiger Partner.“
Hood Training verbindet bereits seit 15 Jahren Sport und Jugendhilfe miteinander. Wie gehen die Trainer:innen mit Gewalt und Drogenproblemen um? „Wir stehen ständig im Kontakt untereinander, besprechen Probleme und bilden uns fort.“ Umgekehrt ziehen in immer mehr Vereine Elemente sozialer Arbeit ein. „Wo Kommunikation fehlt und Gewalt die Folge ist, kann Sport in der Mannschaft eine Lösung sein“, sagte Sarah Ackermann.
Was nehmen die Akteur:innen vom Netzwerktreffen mit?

In Bremen gibt es viel Expertise – umso wichtiger sei es, diese Expertise zusammenzubringen und den Austausch untereinander zu stärken. Darin waren sich die vier Diskutant:innen einig. Auch sonst bestand kaum Dissenz zu den zentralen Themen, welche die Sportlandschaft in Bremen und Bremerhaven auf Jahre hin prägen werden: Übungsleiter:innen gewinnen, Sport an Schulen und Kitas verankern, dafür sorgen, dass sich alle Kinder irgendwo aufgehoben und als Menschen gesehen fühlen. Elke Wolf: „Da haben wir auch schon viel geschafft. Das sollten wir viel mehr feiern und publik machen.“